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„Jede:r Zweite bekommt irgendwann im Leben Krebs. 500.000 Menschen pro Jahr, allein in Deutschland. Man könnte meinen, dass wir alle geübt im Umgang mit der Krankheit wären. Sind wir aber nicht. Krebs ist nach wie vor ein Stigma. Krebs löst Ur-Ängste aus. Und Krebs sorgt dafür, dass wir nicht mehr wissen, was wir sagen können und sollen, wie wir uns verhalten können und sollen. Und das ist für alle Beteiligten ein Problem: für Betroffene, Führungskräfte, Kolleg:innen, HR und Arbeitgebende.“ – so heißt es auf der Webseite der Initiative #einevonacht, die zu diesem Thema berät.
In der SPI-Lounge am 25.09.2025 widmeten sich 97 Teilnehmende dem Thema „Neuer Umgang mit Krebs im Arbeitskontext“. Anna Papadopoulos – Innovationsbegleiterin und systemische Organisationsberaterin sowie Partnerin bei #einevonacht – führte auf ihre freundliche und offene Art und Weise authentisch und gesamtheitlich ins Thema ein und zeigte Wege zu einem neuen Umgang mit Krebs im Arbeitskontext auf. Anhand der exemplarischen Darstellung von drei an Krebs erkrankten Frauen wurde deutlich: Krebs ist nicht gleich Krebs. Es gibt diverse Krebserkrankungen, und auch die Behandlungsmethoden sind unterschiedlich, sowohl von ihrer Art her als auch in ihrer Sichtbarkeit (Beispiel: Beim Haarausfall aufgrund einer Chemotherapie sieht die Umwelt direkt, dass jemand wahrscheinlich erkrankt ist, bei eine Hormontherapie ist das in dieser Form nicht der Fall.). Auf eine Therapie folgen eine Anschlusstherapie sowie eine Anschlussheilbehandlung, und diese können Spät- und Langzeitfolgen haben. Eine Krebserkrankung ist also nach der ersten Therapie lange nicht „abgeschlossen“.
Frau Papadopoulos stellte eindrücklich dar, dass sich generell jeder Mensch vom anderen unterscheidet. Das trifft natürlich und umso mehr in Bezug auf eine Krebserkrankung zu. Der Umgang damit hängt von vielen Faktoren ab: von der eigenen Persönlichkeit, der Lebensphase, in der jemand erkrankt, dem Background und Umfeld, dem Job und beruflichen Herausforderungen. Eine Krebserkrankung verändert das Leben.
Die Unsicherheit, damit (nicht nur) im Arbeitskontext umzugehen, ist nach wie vor groß. Oftmals fühlen sich alle direkt und indirekt Betroffenen überfordert und wissen einfach nicht, wie sie es „richtig machen können“. Nach wie vor haben wir nicht gelernt darüber zu sprechen. Dies können wir ändern, indem Berührungsängste abgebaut und individuelle Lösungen gefunden werden. Als Hebel der Intervention nennt Anna Papadopoulos die Betroffenen, Führungskräfte und Teammitglieder sowie Arbeitgebenden. Jede:r von ihnen kann etwas tun.
Wichtig sei es, Raum zu geben! Wenn eine erkrankte Person ihre Diagnose mitteilt, sollte auf Reaktionen wie „Kopf hoch! Das wird schon wieder.“, „Ich kenne da eine tolle Ärztin..“, „Du tust mir soo leid!“, „Wenn eine das schafft, dann du!“, „Eine Bekannte hatte das auch, die ist da auch durchgekommen.“ verzichtet werden.
Hilfreich sei stattdessen Folgendes:
- Zuhören, nicht urteilen, nicht werten, Fragen stellen
- Keine eigenen Geschichten einbringen, keine eigenen Themen, keine Anekdote
- Sie werden das Problem nicht lösen können, ganz gleich, was Sie sagen.
- Seien Sie für die Person da, lassen Sie ihr wertfrei den Raum.
- Seien Sie für alle Emotionen da, die so eine schwere Krankheitsdiagnose mit sich bringt.
Verbale Reaktionen, die die eigene Betroffenheit ausdrücken, sind vertretbar, bspw.: „Das verschlägt mir die Sprache.“ Oder „Was für ein großer Mist!“
Betroffene könnten bspw. für eine kleine mentale Vorbereitung ihres Gegenübers der Mitteilung ihrer Krebsdiagnose voranstellen, dass sie sich in Chemotherapie befinden, …weil sie Krebs haben. Dies könnte den Effekt haben, dass die Hörenden in ihrer Reaktion anders verhalten.
Der Wunsch, Betroffene zu unterstützen, ist oft groß. Die Frage des „Wie?“ führt allerdings häufig zu so starker Unsicherheit, dass im Endeffekt mitunter gar nichts gemacht wird. Hierfür nannte Anna Papadopoulos folgende Tipps für Menschen, die unterstützen wollen:
- Entscheidungen werden durch langes Grübeln nicht unbedingt besser.
- Hören Sie auf Ihr Bauchgefühl.
- Setzen Sie sich eine Deadline für die Entscheidung.
- Fragen Sie, was Sie machen dürfen: Manche freuen sich über Besuch im Krankenhaus, andere über Unterstützung und kleine Gesten im Alltag - fragen Sie, was Sie machen dürfen: "Möchtest du Besuch haben?"
- Wenn Sie Hilfe anbieten möchten, formulieren Sie ein konkretes Angebot und sorgen so dafür, dass Ihre Hilfe leicht angenommen werden kann. "Ich könnte dir nächste Woche etwas zu essen vorbeibringen" statt "Brauchst du was?".
Anna Papadopoulos stellte im Nachgang auch Checklisten „Work and Cancer“ sowohl für Betroffene als auch für Führungskräfte zur Verfügung.
Im gemeinsamen Austausch brachten die Teilnehmenden, die entweder direkt von einer Krebserkrankung oder indirekt durch eine erkrankte Person im beruflichen und/oder persönlichen Umfeld betroffen waren, eigene Erfahrungen und Impulse für einen gelingenden Umgang mit Krebs im Arbeitskontext ein.
Eine Krebserkrankung bringt verschiedene und wechselnde Phasen der Bedarfe des erkrankten Menschen mit sich. Von daher gilt es auch immer wieder neu abzufragen, wie eine Unterstützung bestmöglich aussehen kann.
Im Arbeitskontext sollte für Gespräche ein passender Rahmen gewählt werden – kein Tür- und -Angelgespräch, sondern ein geschlossener Raum mit Kaffee o. ä.. Im direkten Gespräch können u. a. Vorstellungen und Wünsche der Betroffenen formuliert und mit der Leitung individuelle Lösungen gefunden werden.
Für betroffene Eltern kann auch gerade die Kita ein wichtiges Auffangnetz für die Kinder sein. Ggf. können konkrete Unterstützungsangebote gefunden werden, die die betroffenen Familien, entlasten.
Auf jeden Fall gilt: Die individuelle Abklärung, sei es im privaten oder im beruflichen Kontext, ist die beste Grundlage für eine gelingende Unterstützung von Betroffenen. Mit Blick auf den in der Regel länger andauernden Heilungsprozess sollte hin und wieder bzw. je nach Bedarf geschaut werden, ob noch alles passgenau ist oder Änderungsbedarf besteht.
Weitere Tipps sind den Checklisten zu entnehmen.
Hinweis: Ab Oktober wird es über die zum Thema beratende Initiative (www.eine-von-acht.de) auch ein regelmäßiges Austauschforum für Betroffene geben.
Ergänzend noch folgende hilfreiche Quellen:
- Krebsinformationsdienst: Hier finden sich sowohl inhaltliche Informationen als auch Kontakte wie z. B. zu den Krebsberatungsstellen
- Selbsttest für chronisch Kranke im Job: Ein Selbsttest der Universität Köln, der Betroffenen bei der Entscheidung hilft, ob sie ihre Erkrankung im Arbeitskontext öffentlich machen wollen